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Kriegskind (Zweiter Weltkrieg 1939 bis 1945)

Das Interview haben Lea Althoff, Antonia Stender, Marie Gruß und Cord Maschmann bearbeitet.

Dezember 1941 in Hamburg:
Eine Zeit, in der die Bedingungen, ein Kind zu bekommen, nicht sonderlich gut waren.
„Meine Mutter hatte den Wunsch ihr Kind zu Hause zu bekommen, hatte aber auch große Angst, dass die Sirene losgehen würde und es einen Bombenangriff geben könnte.“
Zu dieser Zeit natürlich eine berechtigte Angst. Ging die Sirene los, musste man seine immer gepackten Sachen und Papiere schnappen und zum nächsten Luftschutzbunker laufen.
Doch meine Urgroßmutter hatte Glück und brachte um 16:00 Uhr ein gesundes Mädchen zur Welt. So wurde das Leben mit einem Baby nicht leichter, aber um einiges schöner.
„Als ich bereits etwas älter war, habe ich die Sirene und die Bombenangriffe auch schon mitbekommen“, berichtet mir meine Großmutter.
Doch es war nicht nur eine Zeit der Bombenangriffe, sondern auch der Deportationen. „Auch davon habe ich wegen meines Alters nichts mitbekommen, aber auch meine Mutter und Großmutter erfuhren erst viel später von diesen schrecklichen Dingen. Aus Erzählungen der beiden weiß ich, dass sie sich oft gewundert hatten, warum der Arzt oder einige Läden von einem auf den anderen Tag geschlossen wurden. In der Nachbarschaft hieß es dann immer, 'die Leute seien nach Amerika ausgewandert‘, aber so genau wusste das niemand.“

Befreiung Hamburgs am 3. Mai 1945:
Zu diesem Zeitpunkt lebte meine Großmutter mit ihrer Mutter bei verschiedenen Verwandten, da in Hamburg fast alle Häuser zerstört waren und ihr Vater sich bis 1947 in Kriegsgefangenschaft befand. „Man war immer eher geduldet als erwünscht. Es war ja auch für unsere Verwandtschaft nicht leicht, uns auch noch mit zu versorgen, doch ohne meinen Vater konnten wir zunächst nichts tun.“
Es war jedoch nicht nur eine Befreiung, sondern auch eine Besetzung Hamburgs durch die Briten. Auch hierzu erinnert sich meine Oma an ein paar Dinge: „ Die Besetzung der Engländer war für uns Kinder total aufregend. Sie waren immer sehr freundlich und haben uns viele Sachen geschenkt. Sie gaben uns Kaugummi, Schokolade oder Weißbrot. Diese Dinge waren für uns natürlich total neu. Außerdem waren sie immer sehr verständnisvoll. Meine Mutter und ein paar andere Frauen waren oft Kohle am Güterbahnhof klauen, damit wir die Wohnungen heizen konnten. Hier haben die britischen Soldaten, die Streife gegangen sind, gerne mal weggeschaut oder ein Auge zugedrückt.“
Neben Wohnungsmangel war die Knappheit an Lebensmitteln und anderen Ressourcen, wie z. B. Kohlen, natürlich auch weiterhin ein großes Problem. „Es war eine Zeit, die für uns alle nicht einfach war. Wir alle hatten oft Hunger oder haben gefroren. Ich habe als kleines Kind oft in einer langen Schlange gestanden, mit einer Milchkanne in der Hand, nur um einen Liter Brühe zu bekommen, mit der wir uns dann eine warme Mahlzeit machen konnten. Dazu gab es dann vielleicht mal Steckrüben oder Kartoffeln. Die meisten Lebensmittel gab es ja nur mit Lebensmittelkarten und wenn die Marken aufgebraucht waren, bekam man halt nichts mehr. Ich hatte jedoch immer was zum Anziehen. Meine Mutter konnte sehr gut nähen und hat aus alten Zuckersäcken Pullover gemacht, damit ich nicht frieren musste.“

Wirtschaftsboom:
1947 kam in Deutschland der sogenannte „Wirtschaftsboom“. Doch wieviel hat die Gesellschaft davon überhaupt mitbekommen? „Er war nichts wesentlich spürbar, zumindest für uns nicht. Eine Sache, an die ich mich erinnern kann und was wir vielleicht dem Wirtschaftsboom zu verdanken haben, war das warme Mittagessen in der Schule, welches jedes Kind täglich und kostenlos bekommen hat. Auch wenn ich mal krank war, ist meine Oma zur Schule gegangen und hat mir mein Mittagessen geholt, damit zumindest ich eine warme Mahlzeit am Tag bekomme.“
Jeder versuchte, über die Runden zu kommen und sich ein neues Leben aufzubauen. Das gelang nach der Rückkehr meines Urgroßvaters mit dem Wiederaufbau Hamburgs auch der Familie meiner Großmutter. „Es wurden viele Wohnungen gebaut und auch ich und meine Eltern bekamen 1954 eine kleine Zweizimmerwohnung. Meine Mutter nahm einen Job an, damit wir die Wohnung einrichten konnten und genug zum Leben blieb. Von da an war ich ein „Schlüsselkind“ und hatte schon viele Aufgaben. Ich musste im Haushalt helfen, Essen kochen, Einkaufen und im Winter den Ofen anmachen, damit die Wohnung ein bisschen warm war, denn Zentralheizung war quasi ein Fremdwort.“

Wiederaufbau
Zu dieser Zeit war der Weltkrieg „schon“ neun Jahre vorbei. Doch wie viel und was war noch immer spürbar? „Es gab trotz des Wiederaufbaus noch lange kaputte Häuser, die wir oft als Spielplatz nutzten und viele Notunterkünfte wegen der Wohnungsnot, welche noch lange anhielt. Außerdem sah man viele heimgekehrte Soldaten mit verlorenen Gliedmaßen. Für uns war es damals einfach normal und der Krieg in irgendeiner Form immer noch präsent und das, obwohl man sich damals kaum für Politik interessiert hat und man sich im Geschichtsunterricht auch nur bis Bismarck auseinandersetzte.“ Es scheint also so, als hätte man damals versucht, den Krieg zu vergessen. Inwiefern das gelungen ist, ist wohl sehr individuell. Aus den Erzählungen meiner Großmutter würde ich schließen, dass sich die Generationen, bis auf die Lebensumstände natürlich, nicht groß verändert haben:
„Als wir im Teenageralter waren, war es wahrscheinlich nicht groß anders als bei euch heute. Für uns war es einfach unser normales Leben. Wir hatten auch Modetrends, denen jeder gefolgt ist; Musik, die jeder gehört hat; Bands, die jeder kannte; Idole und Vorbilder oder einen Schwarm.
Musik hat schon oder vor allem damals eine wichtige Rolle in meiner Generation gespielt. Jeder kannte Elvis oder Bill Haley und jeder tanzte zu Rock and Roll und begeisterte sich später für Jazz. Mit Musik konnten wir uns identifizieren und uns auch gewissermaßen selber ‚weiterbilden‘.“
In vielen Hinsichten bestanden Ähnlichkeiten zu der heutigen Jugend und doch war es komplett anders. Meine Großmutter hat viel mehr positive Dinge aus ihrer Kindheit und Jugend zu erzählen als negative und erinnert sich an viele Dinge gerne zurück:
„Wir hatten ein tolles Familienleben, ein gutes Verhältnis zu unseren Verwandten. Als sich so langsam alles normalisiert hatte, haben wir viele Ausflüge und den einen oder anderen Urlaub gemacht. Wir hatten nie wirklich viel und trotzdem waren wir öfter glücklich als traurig und haben mehr gelacht als geweint. Es ist schwer, die damalige Zeit mit der heutigen zu vergleichen, aber im Großen und Ganzen waren wir einfach viel bescheidener als die Menschen heute. Wir waren glücklich und zufrieden, obwohl wir nicht viel hatten und wussten jede Kleinigkeit zu schätzen.“
So entwickelte sich das Leben meiner Großmutter so, wie sie es sich gewünscht hatte: „Ich bin zur Rackow-Handelsschule gegangen und habe danach eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen. 1965 habe ich meinen Mann geheiratet und 1968 und 1971 unsere Söhne bekommen.“

Kriegskind bezeichnet ein Kind, das in wichtigen Lebensbereichen […] durch Krieg und Kriegsverfolgung geprägt, beeinträchtigt oder gar beschädigt wurde. […]“1

Eine Definition ist die eine Sache, eine wahre und persönliche Geschichte eine andere Sache.
Eine Definition ist eher einseitig, eine wahre und persönliche Geschichte wie diese sehr vielseitig und manchmal auch überraschend.

 


1   Definition: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kriegskind

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