Auszüge aus einem Brief eines Fabrikbesitzers in Thüringen vom 15. April 1953

„Eure direkten und indirekten Fragen, die in Euren Briefen an uns gerichtet werden, geben mir Veranlassung, einmal auf diesem traurigen, aber einzigen Weg, den man ohne persönliche Gefahr benutzen kann, Stellung zu den Dingen zu nehmen, die Euch, aber wohl vor allem uns, zur Zeit besonders bewegen.

Soweit Stromsperren und Störsender es zulassen, verfolgen wir das Weltgeschehen natürlich mit besonderer Aufmerksamkeit und einer gewissen Genugtuung. Wer wollte uns verdenken, wenn wir uns an jeden Strohhalm klammern und neuen Mut schöpfen durchzuhalten. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre ist unser Optimismus verständlicherweise sehr gedämpft. Wir sind auch der Ansicht, trotz aller Entbehrungen, die wir seit Jahren bewusst auf uns nehmen, dass ein billiger Vergleich keine gesicherte Grundlage für die Dauer ist.

Grundgedanke unseres Handelns ist es nach wie vor, das Erbe unserer Väter, das die Familie durch fast 160 Jahre aufgebaut hat, den Kindern zu erhalten. Ich möchte es nicht aus egoistischen Gründen Elementen überlassen, die bewusst jede Tradition zerschlagen. Nachdem die Verhaftungen ohne ernstliche Gründe, sie dienen unserer Einschüchterung und sind wohl für Schauprozesse gedacht, zunehmen, kommt natürlich ein neues Element in die Überlegungen. Eine ganze Reihe von Geschäftsleuten, die ihre Firma sauber geführt haben, verloren unter diesen Umständen die Nerven. Ob sie unüberlegt gehandelt haben, muss die Zukunft lehren. Mein Standpunkt, eisern die Nerven zu behalten, dürfte vorerst noch der richtige sein. Die Hauptwelle scheint vorerst vorüber zu sein.

Setzt sie erneut ein, und das wird vorwiegend von der aussenpolitischen Lage abhängen, dann werden wohl auch wir vor dem harten Entschluss stehen, alles aufzugeben, was nach meiner Ansicht kaum wieder zusammengefügt werden kann, selbst wenn noch einmal andere Zeiten kommen sollten. Ich stehe dann allerdings vor der bitteren Erkenntnis, zu spät eine neue Existenz im Westen gesucht zu haben. Ich hoffe aber, dass dann aber später einmal meine Kinder wissen, für wen ich vor allem mit meiner Frau ausgehalten habe. Wenn ich nun nicht mehr entschlossen bin, bis zur letzten Konsequenz auszuhalten, so ist es das Argument meiner Frau, was sie mit Recht in die Debatte wirft, maßgebend, dass ein verhafteter Mann, dessen Vermögen ja mit der Verhaltung sofort beschlagnahmt wird, der Familie nichts nützt. Dieser realistischen Ansicht vermag ich bei der Entwicklung der Dinge hier bei uns nichts entgegen zu setzten.

Denn wie ist denn die Lage für uns? Wir haben in der Firma in den letzten Jahren noch ganz gut verdient, aber die Steuergesetzgebung, die sich ja bis in die kleinsten Dinge der Buchhaltung auswirkt, lässt uns ja einschließlich Zinsen etc. nicht mehr soviel wie ein Angestellter in gehobener Position verdient. Dabei müssen wir große pekuniäre Opfer für die Erhaltung unseres Besitzes bringen. Dass das nur unter Zugriff auf das Kapitalkonto möglich war, leuchtet bei meiner großen Familie wohl ein, trotzdem wir viel bescheidener als viele andere hier gelebt haben. Nachdem nun Entnahmen aus der Firma, die über den Gewinn hinausgehen, natürlich einschließlich Steuern, mit 25 % extra besteuert werden, können wir uns langsam ausrechnen, wann unsere stark verminderten Betriebsmittel verbraucht sind. Bankkredit, wenn man ihn überhaupt bekommt, ist der Anfang von noch schnellerem Ende. Grundmotiv der ganzen Sache, wen man nicht durch Verfehlungen enteignen kann, macht man von der finanziellen Seite fertig. Hinzu kommen noch die neuesten Maßnahmen: Weihnachtszuwendungen und andere Zuwendungen an die Arbeiter können nur aus dem versteuerten Gewinn des Unternehmers bezahlt werden; Abgabe von 400 Eiern, ob man 1 oder 20 Hühner hat; keine Lebensmittelkarten mehr für uns, was stark verteuerten Einkauf in der HO bedeutet, das Gleiche bei den Punktkarten – bedeutet eine Verteuerung von 100 % trotz schlechter Qualität, erhöhte Versicherungsprämien für uns und so fort. Die Summe dieser Dinge entzieht uns die Existenzmöglichkeit und macht mich, wie bereits erwähnt, zur Aufgabe reif.

Für mich persönlich ist die schwerste Belastung, den letzten noch möglichen Termin zu finden, der den Weg für die ganze Familie über Berlin freilässt. Ich nehme an, die nächsten Monate bringen da etwas mehr Klarheit.

Von hier aus drüben etwas vorzubereiten, dürfte schwierig und vor allem zu gefährlich sein. Wo ich Arbeit irgendwelcher Art finde, wo die Familie unterkommt und was aus den Kindern wird, muss dann entschieden werden. Wer mir noch Hinweise geben kann, was drüben erforderlich ist an Papieren etc., den bitte ich darum, mir das so mitzuteilen, dass man nichts daraus ersehen kann, denn Vorsicht ist mehr denn je am Platze.

Gesundheitlich geht es uns allen soweit gut. Die Kinder haben sich bisher noch ohne FDJ durchgeschlagen, vielleicht legt man auch gar keinen Wert auf uns Ausbeuter.

Dieser Tage sagte mir jemand, wenn man schon alles aufgegeben hat, soll man noch einen Baum pflanzen. Ich habe noch einen Pfirsichbaum gepflanzt."

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